In den Norden – ein wenig links halten
Ein Schamane hat keine Ordination mit einer fixen Adresse. Er lebt in seinem Familienverband und zieht wie alle anderen Nomaden ca. 6 Mal im Jahr von einem Weideplatz zum nächsten. Wir kennen auch nur das Gebiet, wo sich sein Clan aufhält. In der letzten Ortschaft, Tulan Uul, fragen wir nach dem momentanen Standort seiner Jurte. „In den Norden, ein wenig links halten, nach der Furt durch das enge Tal – dort sollte er sein!“ Für uns übersetzt so ungefähr wie „beim dritten Baum links – oder so“ Wir brauchten dann noch einmal einen halben Tag für 40 Kilometer, bis wir endlich die Familie des Schamanen fanden.
Der Familienclan lebt in einem Nationalpark. Man muss einen kleinen Eintritt bezahlen. Die Auszeichnung zu einem Nationalpark soll vor allem Rodungen und Abbau verhindern und die Natur so erhalten wie sie ist.
Goldene Wälder
Der Weg durch die Lärchenwälder des Parks zeigte uns schon, welche Energien auf uns warten würden.
Die Nadeln der Lärchen verfärben sich im Herbst und fallen ab. Goldgelb leuchteten die Bäume vor dem Hintergrund dunkler Felsen. Der Boden war bereits mit einer dicken Nadelschicht bedeckt. Mit dem Moos darunter fühlte sich der Boden wie ein weicher Teppich an.
Er hat schon viel erlebt dieser Wald, Gutes und Böses. Beides war deutlich spürbar. Und so wohl ich mich am Tag fühlte, so schlechte Träume von unsagbaren Dramen hatte ich in der Nacht.
Die Berufung zum Schamanen
Wie wird man nun eigentlich zu einem Schamanen?
In erster Linie ist es eine Berufung, meist von Generation zu Generation innerhalb einer Familie weitergegeben. Der Weg zum Schamanen beginnt immer mit einem Initiationsprozess. Diese Initiation kann eine schwere Krankheit, oder ein Ereignis mit einem Nahtoderlebnis sein.
Möchte dann der (oder die) Berufene den Weg des Schamanen einschlagen, dann steht ihm eine 5 jährige Ausbildung bei einem anderen Schamanen bevor.
Die Grundlage der Ausbildung würden wir als Naturheilkunde bezeichnen. Welche Kräuter helfen wofür, wie schiene ich einen Bruch, renke Gelenke ein usw.
Zu diesem Heilwissen kommt dann aber auch noch die spirituelle Ebene hinzu. In den verschiedenen Kulturen gibt es unterschiedlichste Rituale, um diesen Aspekt in die Behandlung einfließen zu lassen.
Ich möchte weder vergleichen noch werten, ich will niemanden bekehren oder überzeugen. Ich erzähle Euch einfach, was man uns erklärte und was wir letztendlich bei der Zeremonie erlebt haben.
Die Geisterwelt der Mongolei
In jeder Kultur, in der es Naturheiler, Medizinmänner oder Schamanen gibt, treten diese Menschen mit der Geisterwelt in Verbindung, um sich Rat zu holen oder sich leiten zu lassen. Diese Verbindung wird in Trance hergestellt und verschiedene Insignien schützen den Heiler vor bösen Geistern, die ihn in die Irre führen wollen.
In der Mongolei gibt es für alle Himmelsrichtungen Geister, dabei gibt es gute und böse. Geister wohnen auch in allem, seien es Pflanzen, Bäume, Steine oder Tiere.
Der Eingang der Jurte zeigt immer nach Süden, im Norden steht der „Altar“ – sowohl bei den Buddhisten als auch bei den Schamanen.
Im Osten der Jurte, dem Bereich der Frauen, befindet sich die Küche. Hier werden vor allem Töpfe und Geschirr aufbewahrt. Gekocht wird auf dem Ofen in der Mitte der Jurte.
Im Westen werden die Gäste empfangen. Das gemeinsame Bett steht meistens im Osten. Bei einer Zeremonie muss die Nord-Süd-Passage freigehalten werden. Unsere Fahrzeuge standen natürlich im Weg. Erst als wir sie westlich der Jurte abgestellt hatten, konnte die Zeremonie beginnen.
Erweisen wir uns als würdig?
Aber soweit waren wir noch nicht. Wie schon erwähnt, sind die echten Schamanen ein wenig skeptisch gegenüber Menschen aus „westlichen“ Kulturkreisen. Sie sind sich nicht sicher, ob wir uns auf ihre Spiritualität einlassen können. Wir mussten uns in einer intensiven Musterung als „würdig“ erweisen.
Es begann mit Süütei, dem traditionellen Milchtee, Brot, Butter, Süssigkeiten. Dann wurde unser Besuch zum Anlass genommen eine Ziege zu schlachten. Sehr ehrfurchtsvoll gegenüber dem Leben, das man nimmt. Blutlos, denn jeder vergossene Blutstropfen würde die Raubtiere aus den nahegelegenen Wäldern anziehen. Die Innereien kamen sofort in den Ofen und kurz darauf konnten wir köstliche Leber, Herz, Nieren und Blutwurst genießen.
Die Unterhaltung mit Schizorig, so ist der Name unseres Schamanen, lief eher zäh, da wir ja immer Zorig zum Übersetzen brauchten.
Natürlich kam auch die Frage, warum wir das machen wollen. Ich glaube, es waren aber letztendlich nicht die Worte sondern unsere Ausstrahlung, die so sensible Menschen viel besser wahrnehmen können. Er spürte, dass unser Interesse ehrlich war und wir so eine Zeremonie nicht nur erleben wollten, weil es gerade modern ist, sich mit Spiritualität auseinander zu setzen.
Die Vorbereitung
Die 5 Farben des Schamanismus
Im Schamanismus gibt es 5 bedeutende Farben:
- Blau = Himmel
- Gelb = Sonne
- Grün = Wald
- Rot = Feuer
- Weiß = Geister
Die Bekleidung
Für die Zeremonie trägt der Schamane ein eigenes Gewand, einen Umhang, der selbst angefertigt worden ist.
Der Umhang selbst wurde aus blauem Stoff gefertigt. Auf den Umhang sind viele Stoffbänder in den 5 Farben des Schamanismus angenäht.
Es werden aber auch kleine metallene Gegenstände befestigt, vorwiegend Glocken, die vor den bösen Geistern schützen sollen. Ein besonderes Schmuckstück ist eine Hasenpfote.
Der Umhang ist ziemlich schwer und man konnte dem Schamanen auch die Anstrengung beim Tragen und Tanzen anmerken.
Maske und Trommel
Als weiterer Schutz dient eine Maske mit Adlerfedern geschmückt. Das aufgemalte Gesicht soll den bösen Blick der Geister abwehren.
Ein sehr wichtiges Instrument ist eine Trommel, natürlich auch selbst hergestellt. Ein Holzreif mit Tierhaut bespannt und ebenso in den 5 Farben bemalt. Auf dieser Trommel war die Sonne ein zentrales Thema.
5 Gaben für die Zeremonie
Teilnehmer der Zeremonie bringen 5 Gaben mit: Milch, Tee, Süssigkeiten, Zigaretten und Wodka, die auf dem Altar im Norden angerichtet werden. Nur der Wodka verschwindet im Schrank – ist wohl als Stärkung für nachher gedacht. Alle Beteiligten müssen frei von Metall und Schmuck, also kein Messer, Ringe, Ketten oder Leatherman. Der Ofen wird so weit wie möglich auf die Seite geschoben, damit im Norden genug Platz bleibt.
Die Reinigung
Sobald die Dunkelheit hereingebrochen ist, werden frische, kleine Wacholderzweige am Feuer entzündet. Mit dem Rauch reinigt sich jeder selbst, indem die rauchenden Zweige dreimal im Uhrzeigersinn um den Körper gekreist werden und anschließend der Rauch nach Süden, aus der Tür der Jurte getrieben wird. So wie wir uns, reinigt die Familie des Schamanen auch die Jurte.
Die Zeremonie
Wir nehmen an der Westseite Platz. Die Mutter des Schamanen sitzt mit einer Schale Milch und einem wunderschön verzierten Milchschöpfer ganz im Nordwesten und verteilt immer wieder ein paar Spritzer Milch in den Norden. Das dient zur Besänftigung der Geister!
Dann beginnt unser Schamane zu trommeln und leicht mit den Füssen aufzustampfen. Sein Vater und sein Onkel schirmen den Tanzplatz zum Ofen hin ab. Bald wissen wir warum. Der Schamane beginnt sich im Kreis zu drehen. Immer schneller werden die Drehungen, immer flotter stampfen die Füße im Rhythmus der Trommel. Zweimal musste der Tänzer vor einem Sturz in den Ofen bewahrt werden.
Die Verbindung steht
Der Schamane lässt sich im Türkensitz nieder, das Gesicht nach Norden gerichtet. Er wirkt abwesend. In diesem Moment hat er die Verbindung zur Geisterwelt aufgenommen.
Die mongolischen Schamanen treten in der Trance nicht direkt in Verbindung zu den Geistern sondern zu ihren Vorfahren. Je länger die Linie, umso stärker der Schamane. Schizorig ist in der 5. Generation Schamane.
Die Vorfahren übernehmen dann den Kontakt zur Geisterwelt.
Einzeln können wir nun zum Schamanen vortreten. Östlich von ihm lassen wir uns auf den Knien nieder. Er wirft uns die Hasenpfote zu, wir geben sie ihm zurück. So nimmt er Kontakt mit uns auf. Er erzählt uns Dinge über uns in einer Sprache, wo auch wir erkennen, dass das nicht mongolisch ist. Es ist die uralte Sprache seiner Vorfahren. Dann dürfen wir ihm Fragen stellen, die er nach Rücksprache mit den Geistern beantwortet. Dabei kommen auch die Süßigkeiten und die Zigaretten zum Einsatz. Die Zuckerln werden verspeist oder uns zugeworfen, der Zigarettenrauch in unsere Richtung geblasen. Am Ende der Fragestunde umkreisen wir den Schamanen dreimal im Uhrzeigersinn. Ganz wackelig fühle ich mich dabei, meine Beine gehorchen nur widerwillig und ich habe das Gefühl, total schief zu gehen.
3 Stunden dauert die Fragestunde, wir waren 6 Teilnehmer und bei uns 4 Europäern gab es auch noch die Schwierigkeit des Übersetzens.
Sein Vater übersetzte die alte Sprache ins mongolische, Zorig das mongolische Wort ins Deutsche und wieder retour.
Danach begann der Schamane wieder zu tanzen und zu trommeln bis er urplötzlich in sich zusammenbrach. Sein Vater und sein Onkel kannten den Moment und standen bereit ihn aufzufangen und langsam ließen sie ihn zu Boden gleiten.
Sie nahmen den Kopfschmuck ab und befreiten ihn von dem schweren Mantel. Nach ein paar Minuten öffnete der Schamane die Augen, müde sah er aus und sein junges Gesicht wirkte alt.
Gemeinsam wurde Tee getrunken und die Süßigkeiten verzehrt.
Für gesundheitliche Fragen gab es Kräuter zur Behandlung, die auch wirklich gewirkt haben. Schamanen sind ja Heiler, lernen 5 Jahre lang die Wirkung jedes Krauts genau kennen.
Die Schamanen in der Mongolei befragen die Geister in Trance nach der Ursache von Krankheiten, die Heilung erfolgt danach im Wachzustand.
Was haben wir mitgenommen?
Es war ein energiegeladener Abend. Diese positive Energie hat uns vollkommen eingenommen und unseren Körper durchströmt.
Vieles haben wir über uns selbst erfahren, keine Prophezeiungen – eher was zum Nachdenken – und wie wir uns in manchen Bereichen selbst unsere Zukunft gestalten sollen!
Für jeden von uns war das eine sehr intime Erfahrung.
Am späten Vormittag des nächsten Tages verabschiedeten wir uns von der Familie und setzten unseren Weg in Richtung Norden fort. Auf unserem weiteren Weg wurden wir vor einige Prüfungen gestellt, über die ich das nächste Mal berichten werde.
Der Abschied aus dem Schamanenland wurde uns nicht leicht gemacht und er fiel uns auch im Kopf sehr schwer. Man kann es so schwer beschreiben, diese Energie, die alles durchströmt. Man muss es erlebt haben.
Für mich aber war dieses Gebiet wohl der stärkste Kraftplatz auf unserer Reise.